Adieu Rota Vicentina – hello Lissabon
Sonntag, 09.03.25 -> English version
Seit drei Tagen bin ich nach insgesamt 10 Tagen nicht mehr auf dem sog. Fisherman’s Trail, sondern in Lissabon angekommen. Größer könnten die Kontraste dabei nicht sein: Von wilder, nahezu unberührter Natur an der Küste mit klarem Wetter, blauestem Himmel und heißem Sonnenschein, ging es in Lissabon in viele Regenschauer, kühle Temperaturen und eine unfassbar riesige, imponierende Großstadt. Lissabon, derzeit eine der beliebtesten und daher auch vollgestopftesten Hauptstädte Europas. Mit insgesamt 4,5 Mio Touristen jährlich, aber nur 500.000 Einwohnern fühlt sich Lissabon für mich sehr seltsam an. Ich nehme mir nach einem ersten Eindruck am Freitag kein Touristenprogramm vor, da mir die Stadt viel zu voll und zu laut ist, sondern lasse mich treiben, wohin die Stadt mich treibt. So entstehen viele Strecken zu Fuß, die sonst kein Tourist auf sich nimmt. Zum Beispiel von dem Stadtteil Belèm über Alcantara (“X‑Factory”) und Campolide nach Avenidas Novas, wo ich wohne. In den Nebenstraßen begegnen mir Portugiesen, die mich entweder fragend ansehen oder tatsächlich fragen, ob ich mich verlaufen habe. Hier kann ich endlich loslassen. Hier ist nichts hübsch gemacht, sondern einfach, dreckig, kaputt, ziemlich arm und überhaupt nicht aufgemotzt. Aber dafür ehrlich und echt, authentisch und spürbar. Und so laufe ich zig Kilometer am Tag in den untouristischen Stadtteilen hin und her und bin froh, dass mich meine Füße gut auf und ab tragen, denn ohne das ginge auf den Hügeln von Lissabon nichts.


Die letzte Woche Wandern an der wirklich unfassbar schönen Küstenlandschaft zwischen Odeceixe (sprich: Ott-ßèijsche) und Porto Covo im Alentejo klingt noch immer nach. Sie war geprägt von unberührter Natur mit zig einsamen Stränden und Buchten, Klippen, Felslandschaften im Meer, von Wildblumen und Wildkräutern, kleinen Wäldern, Vogelgezwitscher, zig Storchenpaaren mit Jungen, wilden Katzen und Hunden, klarem Wetter, tosendem Meer. Kein Haus, keine Straße, noch immer nicht, tagelang. Ich bin Stunden durch Büsche gewandert, unter Äste gekrochen, über Büsche gestiegen, durch und über Bäche gesprungen, dann wieder direkt an den Klippen sehr steil auf- und abgestiegen, und täglich viele Kilometer durch einsame tiefe Sanddtrände gestapft. Meistens in Stille mit Meeresrauschen. Am Wochenende plötzlich das schöne bzw. hässlich schöne Lissabon, die riesige Großstadt. Bereits in Porto Covo auf dem Fisherman’s Trail am Freitag Morgen habe ich einen Bus nach Lissabon genommen, um die letzte Etappe mit wechselndem Natur- und Industriegebiet sowie regelmäßigen heftigen kalten Regengewittern zu umgehen. In einem sehr schönen Hotelzimmer in Lissabon steige ich am Freitag als erstes in eine Badewanne und genieße den trockenen, warmen Raum und endlich Stille.
Wochenende: Entspannung in vollen Zügen
Zum ersten Mal seit Beginn der Reise schlafe ich in Lissabon in der ersten Nacht tatsächlich 8 Stunden. Die letzten 12 Tage auf dem Küstenwanderweg der Rota Vicentina habe ich schlecht und sehr wenig geschlafen, da die Unterkünfte wirklich immer feucht und kalt waren. Die Gerüche von einer Mischung aus Schimmel und Waschmittel wurden steigernd unerträglich, an Schlafen und Entspannen für mich nicht zu denken. Da ist wieder so ein Kontrast: Erlebe die schönste Natur, aber auch die schwierigsten Unterkünfte in deinem Leben… 😉 So genieße ich hier am Wochenende in Lissabon ein Hotelzimmer vom Feinsten und fühle mich wieder wie ein Mensch.



Schein und Sein
Dabei beobachte ich die Stadt und die Menschen um mich herum intensiv und denke wie so oft viel darüber nach. Über Schein und Sein, das Äußere und Innere, über meinen persönlichen Wettkampf mit “den anderen”, das “anerkannt bzw. erkannt Sein” bzw. mein Wunsch danach. Hier fällt mir besonders auf, wieviel Schein in der Touristen-Stadt nach dem wilden Sein auf dem natürlichen Küstenweg dominiert. Ich spüre, dass ich einfach nur sein will. Ohne Schein. Und es gibt Fragen in mir: Will ich weiter wandern? Will ich alles zu Fuß machen? Wer nimmt mich nicht ernst, erkennt mich nicht an, wenn ich es mir einfach gut gehen lasse und nicht so viel Wanderwege leiste? Ich habe das Gefühl, dass ich selbst so tief in diesem Anspruch gefangen bin, dass dieser Teil der Reise gerade eine gute Herausforderung für mich ist. Es ist seit drei Tagen kalt und regnet sehr viel. Das bleibt die nächsten ein bis zwei Tage auch noch so. Da macht Wandern vielleicht nicht nur weniger Freude, sondern ist ohne Heizung schlicht nicht machbar. Und Heizungen sind auf dem Land an der Küste in Portugal keine Regel. Du wirst nass und dann nicht mehr trocken. Dieses Risiko gehe ich morgen ein.
Next step: Lissabon bis Porto
Morgen geht es weiter mit meiner Wanderung die Küste entlang. Beim Leuchtturm “Farol do Cabo Raso”, 36 km westlich von Lissabon, starte ich. Ein Uber wird mich morgen früh dort hinfahren, und dann geht es zu Fuß 20 km Richtung Porto weiter. Bis Porto werde ich täglich eigene Etappen die Küste entlang kreieren müssen, denn einen bereits bekannten Wanderweg mit einer Sammlung von bestimmte Etappen gibt es hier nicht. Bis dahin heißt es also für mich: Mein ganz eigener Weg. 😉
Ich wünsche Dir einen guten Wochenstart. Bleib stabil und fühl Dich herzlich umarmt!
Herzliche Grüße
Ellen