Noch immer Ankommen oder: Erste Annäherung mit der Aggertalsperre
Sonntag, den 13.04.2025 -> English version
Drei Wochen bin ich nun wieder zurück von meiner Atlantik-Wanderung, die viel länger hätte sein können. Zurück in Deutschland, Windeck, im südlichsten Zipfel NRWs, im schönen Rhein-Sieg-Kreis. Noch immer kann ich vieles, was ich erlebe, nicht richtig einsortieren und befinde mich in einer Art Neuzustand und zusätzlich in einer Warteschleife. Letzte Woche sind wir zum ersten Mal mit unserer neuen Cherry knapp 30 Minuten von uns entfernt ins Bergische gefahren, um an der Aggertalsperre zu wandern. Wir dachten, ein See wäre schön. Die Fotos waren umwerfend, wie in einem richtigen Urlaub am See. Die Realität ist anders. Oder bin ich verwöhnt? Leider verlaufen fast alle Wanderwege um den See direkt an einer viel zu schnell befahrenen Straße, samstags ist der Verkehr zusätzlich bestimmt von schweren Motorrädern. Kein Erholungsfaktor. Keine Natur mit allen Sinnen. Kein Spaß für mich. Nur sehr kurze Wege sind autofrei. Überall lauter Verkehrslärm und Abgase. Aber gehen wir einmal kurz zurück in die letzten zwei Wochen, in denen Du nichts von mir gehört hast.


Mein ’neues’ Ich und erste soziale Interaktionen
Ein paar erste Treffen mit Windecker Freunden, ja sogar mit größeren Gruppen habe ich probiert. Mich zum Essen verabredet, zum Reden, Musizieren und Singen, zum Austausch. Es kommen Fragen, manchmal sofort, manchmal erst am Ende eines Treffens. Es fällt mir schwer, die Fragen über meinen Zustand zu beantworten, noch Tage danach gehen mir Gedanken dazu durch den Kopf. Sie scheinen sich immer um die Sorge zu drehen, nicht wirklich verstanden, sondern im falschen Licht gesehen zu werden. Ebenso aber geht es mir in Situationen, in denen ich gar nichts gefragt werde oder sage und das Gefühl habe, in meinem neuen Ich und einem inneren Gefühl der Nacktheit, überhaupt nicht erkannt zu werden. Ich bin nicht krank. Ich bin nur anders. Und versteck(t)e das meistens. Allein das eigene Akzeptieren des Andersseins verbunden mit dem Üben, mich ab und an aus sozialen Situationen zurückzuziehen, hat Wunder gewirkt und mich sehr aufatmen lassen. Es geht mir mit dem Anderssein sehr gut. Mein eigener und der Umgang der anderen damit ist sehr entscheidend. Das ist schwer zu beschreiben. Ich komme hie und da in Not, mich plötzlich wie eine Kranke zu fühlen, die sich erklären muss, weil zuvor niemand etwas von meinem Inneren geahnt hat, was mich unglaubwürdig erscheinen lässt. Das verstehe ich sehr gut. Ich fühle mich während solcher Gespräche ziemlich schlecht, kann mich nicht klar äußern, nicht schützen oder abgrenzen. Ich möchte lernen mich klarer zu positionieren, diese Themen in öffentlich gesellschaftlichen Situationen nicht besprechen zu wollen und trotzdem keine Angst vor Ablehnung haben zu müssen.


Versuch eines kurzen Rückblicks
Nach 3 Jahren wollen mein Partner und ich im Juli 2024 Windeck den Rücken kehren. Wir haben hierfür eine passende Wohnung in Köln angemietet. Wieder steht ein Umzug an. Das wäre mein 23-gster. Es fällt mir zum ersten Mal unsagbar schwer, Kisten zu packen und alles zu organisieren. Das Windecker Ländchen tut meinem Partner und mir so außerordentlich gut, viele Menschen habe ich in mein Herz geschlossen. Hauptsächlich aber verspreche ich mir von diesem Ortswechsel (wieder) mehr beruflichen Anschluss an meine frühere Umgebung in Köln. Anschluss an Musikszenen der geselligen und kulturell vielseitigen Stadt am Rhein. In Köln bewege ich mich beruflich seit rund 25 Jahren recht erfolgreich. Ein bisschen bahnte sich zwar eine Veränderung durch eine private Entwicklung 2019 an, aber durch Corona, seit also 2020, erfahre ich in meinem Beruf eine heftige Unterbrechung. Ich trete selten mit Konzerten, anderen Musik‑, Kunst- oder Theaterprojekten in der Öffentlichkeit auf! Stattdessen unterrichte ich an 4 Tagen Einzelsitzungen, gebe kleinere Stimm- und Gesangsworkshops sowie Kurse. In Windeck ist das Leben ruhig und wunderschön, die Natur und Ruhe unfassbar gesund. Jedoch tue ich mich hier auch noch 4 Jahre nach Corona als Sängerin, Musikerin und Stimmpädagogin irgendwie schwer.


Das zurechtgelegte Konzept, ein bis dreimal pro Woche nach Köln zu pendeln und nach und nach immer mehr in Windeck aufzubauen, erweist sich als extrem anstrengend und Kräfte zehrend. Die Deutsche Bahn ist ein großes Problem: Das Einplanen von 2 Stunden zusätzlich zur 3‑stündigen An- und Abreise reicht oft nicht aus. Fahrten nach und von Köln werden ernsthaft Tagesreisen, an denen ich insgesamt 12 – 16 statt 8 Stunden unterwegs bin. Ich verlasse morgens um 7 Uhr das Haus und komme nachts gegen 23:30 Uhr zu Hause an. Für mich und meine Hypersensibilität mit der Zeit eine schleichende, sich steigernde Belastung. Unterrichtstage in Köln werden durch diese Rahmenbedingungen zu einem Alptraum. Ein Wechsel zurück nach Köln scheint also DIE Lösung zu sein.


Der gesamte Umzug hat – glücklicherweise – aus verschiedenen Gründen, die hier uninteressant sind, nicht geklappt. Mein Partner und ich können dank unserer vom Himmel gesendeten Vermieterin einfach in Windeck in unserem wunderschönen Domizil bleiben! Schnell muss vor allem ich im Juli und August letzten Jahres den gesamten Umzug samt meiner beruflichen Tätigkeiten (Windeck-Köln-Köln-Windeck) rückabwickeln und wieder umstrukturieren. Und das macht mir sehr viel Stress. Gleichzeitig bin ich in einer Ausbildung zur Yogalehrerin, sehr anstrengend. Ende August in Folge dessen mein zweiter Hörsturz, den ich hier in diesem Blog bereits erwähnte, sowie alle anderen darauf folgenden Probleme, die in meinen letzten Blogbeiträgen das ein oder andere Mal zur Sprache kamen. Seit dieser Zeit, seit Juli 2024, bin ich aus diesen Gründen nicht mehr richtig in meine Mitte.
Zwischen Aufbruch und Ankommen
Und so stehe ich heute wieder in Windeck. Nach heftigem Wirbel im Äußeren, einer gesundheitlichen Krise im Inneren, der darauf folgenden Auszeit mit wiederholten Zweifeln und Fragen nach dem Sinn und dem Sein des Lebens. Nach einer Wanderung am Atlantik und der dort unerwartet früh gewonnenen ersten Erkenntnis, meiner Neurodiversität einen stabilen Rahmen geben zu wollen. Seit drei Wochen nun schaue ich mich langsam und sorgfältig im großen Haus und Garten in Obernau um. Seit Juli 2024 sind nämlich auch das Haus und der Garten in einer Art Schockzustand, ähnlich wie ich. Seit unserem Nichtumzug im letzten Sommer habe ich hier nur das Nötigste getan, da es nicht anders ging. Mein Partner wiederum ist beruflich mega beschäftigt und damit glücklich und vollkommen ausgefüllt, was wunderbar ist. Wir hatten uns bereits ausführlich von Windeck verabschiedet, von vielen lieben Menschen und Gruppen, Wäldern und Orten, von Blumen, Bäumen, Gräsern, Zimmern, Räumen, Wänden. Seit drei Wochen nun widme ich mich zum ersten Mal in Ruhe jeden Tag dem Zupfen von Blättern, Sortieren von Räumen, Kisten und Schränken, Waschen, Entstauben, Putzen von Fenstern, dem Schneiden von trockenen Hölzern. Es kommt mir vor, als erwache das Haus und der Garten nach einem langen Schlaf. Ich habe viel zu tun und gehe bewusst und sehr, sehr langsam vor.

Gestern haben wir eine Wanderung wiederholt, die wir in unserem ersten Jahr in Windeck sehr liebten und noch immer sehr lieben: Der Waldmythenweg im Bergischen Land nahe bei Waldbröl. Wenn Du einmal in der Nähe bist, dann lauf ihn. Er ist wirklich wunderschön, etwas bergig (da kommt man ein bisschen ins Schwitzen), mit sehr weiten Ausblicken. Wir haben Zeit zum Reden, während wir wandern. Wie ist meine momentane Lage? Im Wechsel zu diesen zunehmend beruhigenden und erdenden Aktivitäten im Außen verfolge ich täglich neue Ideen und Adressen aus dem Internet zwecks einer psychischen Diagnoseerstellung. Bisher ohne nennenden Erfolg, eher Misserfolg. Komplette Absagen wegen mangelnder Kapazitäten, Wartezeiten von 9 – 12 Monaten, an der Bonner und Kölner Universitätsklinik von 1,5 Jahren. Keine Wartelisten. Heftige Gefühlswellen folgen dem immer wieder von neuem Ausfüllen von Anmeldebögen und kleinen bis umfangreichen Tests zum gegenwärtigen Zustand. Wechselnde Zustände, angefangen bei Erstaunen, Freude, Klarheit und Aufbruch hin zu Trauer über die vergangenen Jahrzehnte und Angst vor der Zukunft. Ein Wechsel von Aktionismus, Tränenbädern und Lähmung, von Positivismus zu Negativismus und umgekehrt. Nicht zu vergessen: Ungeduld und aufbrausende Wut über alles, was auf dieser Welt schlimm und ungerecht ist, was nicht sofort funktioniert, was ‘falsch’ ist…
Wie es hier weiter geht
Ich kann trotz oder auch deswegen oft und viel lachen, es mir gut gehen lassen, wandern, meditieren, lesen, Filme ansehen, musizieren. schreiben, malen und gut essen. Denn ich lebe hier mit meinem Partner und unserer Katze sehr geschützt und sicher. Es geht mir besser, wieder gut, noch gut. Ich übe eben ohne Anleitung oder Begleitung, mit kleinen Erfolgen das Erkennen und Annehmen meines Andersseins, meiner Befindlichkeiten, des Erkennens meines gegenwärtigen Zustands, des sozialen Rückzugs, der Beruhigung, wenn angebracht. Beginne über die Wiederaufnahme meiner beruflichen Tätigkeiten nachzudenken und freue mich über sinnvolle Beschäftigung. Alles, was ich in Vergangenheit in meinen Ausbildungen zur Selbstfürsorge, inneren Stabilität und Unterstützung gelernt habe, macht im Zusammenhang der Selbsterkenntnis und Selbstannahme meines Andersseins so viel Sinn und hilft mir im Alltag sehr. Ohne die digitale Welt wäre das nicht möglich. Videos, Beratungen, Tests im Netz, Hörbücher mit Hypnose- und Meditationsübungen. Ich suche und finde. Ein Hoch auf die moderne Technologie. Ich danke.
Dieser Blog wird nun etwas pausieren, denn ich wandere momentan nicht in der Ferne, sondern, wie Du gesehen hast, in der Nähe von Windeck. Auch nicht 24⁄7, sondern nur ein bis zwei Tage pro Woche. Meine Erfahrungen auf meiner Reise und Fernwanderung aufzuschreiben, in erster Linie für mich und dann auch für Dich, das machte mir große Freude und ist eine fließende, leichter Sache. Das werde ich auch gerne und sofort wieder aufnehmen, wenn ich mich in Zukunft wieder auf die Reise mache. Dann wirst Du ganz sicher die Erste sein, die davon erfährt, und kannst direkt mitlesen und ein Stück mitreisen.
Bis zur nächsten Reise möchte ich Dir deshalb an dieser Stelle für Deine Aufmerksamkeit, Deine Anteilnahme und Dein Feedback von Herzen danken und hier in diesem Blog erstmal ‘Adieu’ sagen.
Ich wünsche Dir von Herzen einen wunderschönen Wochenstart, eine wunderschöne Zeit und ein wunderschönes Leben!
Bleib stabil und fühl Dich herzlich umarmt!
Bis gleich,
Ellen