Sonne und Meer, Klip­pen, Pi­nien, Blüten…

Sonn­tag, den 02.03.2025 -> Eng­lish version

Heute ist Sonn­tag, mein Ru­he­tag. Ich wohne in ei­ner wun­der­schö­nen Ca­bin an der “Ponta da Ata­laia” in Al­je­zur, im Süd­wes­ten von Por­tu­gal. Eine traum­hafte Klip­pen­land­schaft liegt bei Mee­res­rau­schen, blauem Him­mel und Son­nen­schein vor mei­nen Füßen.

Eine knappe Wo­che Por­tu­gal und 92,4 Fuß­ki­lo­me­ter Rich­tung Nor­den lie­gen hin­ter mir, da­von zwei Tage An­reise und vier Tage wan­dern, täg­lich um die 22km. Viele Bil­der, viele Men­schen, viele Ge­dan­ken – so ver­lie­fen die ers­ten Tage. Der Ruck­sack zu schwer, am ers­ten Tag noch in Faro 2,7kg mit der Post nach Hause ge­schickt. Das täg­li­che Wan­dern, da­nach ein Ein­keh­ren und kom­plette Lee­ren des Ruck­sa­ckes macht sehr schnell deut­lich, was an­ge­fasst wird, was un­nö­tig ist. Aber – ein hal­bes Jahr ist lang… Wer weiß, was noch kommt.

Heute habe ich tat­säch­lich ei­nen An­flug von “Jetzt” er­lebt: Eine Pfanne rei­ni­gen und da­bei nur sein. Keine Ge­dan­ken, keine Fra­gen, keine li­neare Zeit­schnur von “Was muss ich wann wo zu­erst tun, daran den­ken, nicht ver­ges­sen zu tun, noch bis … er­le­di­gen?” Das ist ge­nau das, was ich mir mit am Meis­ten wün­sche. So sein.

So ge­wal­tig schön

Der “Fi­scher­pfad”, der “His­to­ri­sche Pfad” so­wie ei­nige Rund­wan­der­wege, die in der so­ge­nann­ten “Rota Vi­cen­tina” zu­sam­men­ge­fasst wer­den, ist nun meine Route und mein täg­li­cher Weg. Meist an der Küste ent­lang, oft aber auch ein paar Ki­lo­me­ter land­ein­wärts, in na­tur­be­las­se­nen Hei­de­land­schaf­ten und klei­nen Wald­ab­schnit­ten – ins­ge­samt ein gro­ßes Na­tur­schutz­ge­biet. Es wäre durch­aus schwie­rig ohne Al­pin­erfah­rung oder, wie in mei­nem Fall, ohne Mut: Ich habe bis­her keine Stö­cke, musste je­doch öf­ter Ge­röll her­auf klet­tern und krie­chen, mich an Pflan­zen oder Stei­nen fest­hal­ten und eben et­was mu­tig sein, nicht nach links gu­cken, je­den Fuß­tritt lang­sam tes­ten und kei­nen Schwung neh­men. Denn der Ruck­sack ist ver­hält­nis­mä­ßig schwer und gibt mir an­sons­ten ei­nen zwei­ten Schwung – da­nach wo­mög­lich ei­nen drit­ten nach links un­ten, wo die Klip­pen und das Meer lie­gen… Auf diese Weise wa­ren so man­che 200 – 250m auf- und ab­wärts auf 50 – 100m zu über­win­den. Und meist links das Meer, hohe Wel­len, star­ker Wind. Nichts den­ken au­ßer “Lang­sam, El­len, sehr lang­sam und noch lang­sa­mer”. Ich fange an mich mit der Erde un­ter mir zu ar­ran­gie­ren und liebe meine gute Mi­che­l­in­sohle un­ter mei­nem Vivo-Barefoot-Wanderschuh.

Wäh­rend die­ser Tage treffe ich viele Wan­der­men­schen, die meis­ten aus deutsch­spra­chi­gen Ge­bie­ten, aber auch we­nige aus Tsche­chien, der Slo­wa­kei, den Nie­der­lan­den, USA, Frank­reich. Mit C., ei­ner Deut­schen in mei­nem Al­ter, ganz aus mei­ner Hei­mat­nähe, laufe ich zwei Tage zu­sam­men. Wir ge­hen ge­mein­sam, wir es­sen ge­mein­sam, ein­mal sind wir so­gar zu­fäl­lig ge­mein­sam in ei­ner pri­va­ten Un­ter­kunft un­ter­ge­kom­men. Ich bin dank­bar, ge­rade zu Be­ginn mei­ner lan­gen Wan­de­rung mit ihr zu spre­chen. Es ist leicht, tiefe wie auch fla­che Ge­sprä­che mit ihr zu füh­ren, zu la­chen und zu schwei­gen, wenn Na­tur so ge­wal­tig schön ist. Zu­sam­men sind wir oft sprach­los und las­sen uns ebenso viel dar­über aus, dass wir nie­mals dach­ten, in Eu­ropa noch sol­che un­be­rührte Na­tur, Strände, Klip­pen, das Meer an­zu­tref­fen. Ohne di­rek­ten Tou­ris­mus, ohne Stra­ßen, ohne Au­tos. Unglaublich. 

Es hat in der letz­ten Wo­che in die­sem Land­strich – jah­res­zei­ten­ge­recht – viel ge­reg­net. Wir müs­sen meh­rere Um­wege ge­hen, weil di­rekte Wege am Meer nicht zu­gäng­lich sind. Erd­rutsch­ge­fahr hat bei mir de­fi­ni­tiv auch die Ex­pe­ri­men­tier­freude sin­ken las­sen, so­dass wir et­was ent­fern­tere Wege an der Küste ge­hen muss­ten. So kom­men wir trotz­dem in zwei der vie­len Tä­ler, die wir auf und ab ge­hen, nicht über ei­nen ge­flu­te­ten Bach. Sam­meln Steine, bauen uns ei­nen Über­gang. Schön, wenn es so ein­fach fließt, ich danke ihr und dem Le­ben, dass uns so kurz und nett zu­sam­men ge­führt hat.

In­nere Kontaktaufnahme

Wäh­rend die­ser Tage fühle ich im­mer wie­der ein win­zi­ges biss­chen, dass ich zu mir zu­rück­komme. Wie aus ei­ner Art Be­täu­bung kehrt nach und nach, Schicht für Schicht, In­sel für In­sel eine Art Ich­ge­fühl zu­rück. Wie lange war es weg gewesen?

Im Hin­ter­kopf taucht seit Be­ginn die­ses schicht­ar­ti­gen “Er­wa­chens aus der Be­täu­bung” ab und an ein Ge­danke auf und ver­schwin­det dann wie­der. Wie ist es mög­lich, in mei­ner “nor­ma­len un­nor­ma­len” Welt mein Ich­ge­fühl, meine Prä­senz zu be­hal­ten? Warum und wann geht sie über­haupt ver­lo­ren? Und ob es noch mehr Men­schen au­ßer mir so geht oder ob ich da et­was nicht be­herr­sche, was in un­se­rer Ge­sell­schaft not­wen­dig ist?

Mit die­sen Ge­dan­ken gehe ich nun in die zweite Wo­che. Die Sonne scheint, das Meer und die Vö­gel ru­fen mich. Die Pi­nien und Blü­ten duf­ten. Ich grüße Euch aus der Ferne und wün­sche Euch ei­nen wun­der­schö­nen Wochenstart!

Eure El­len